Samstag, 7. März 2009

Biep-Geschichten

16:59: Die letzten vollgepackten Wagen eilen auf mich zu, die drei Kunden atmen auf (oder ringen sie nach Luft?), sichtlich erfreut, gerade noch beim Erklingen des letzen Glockentons, welcher die Ladenschliessung ankündigt, in der Warteschlange einen Platz ergattert zu haben.

An einem gewöhnlichen Samstag ist dies der Moment, in dem ich versuche meinen Ärger unter einem halbwegs freundlichen "Grüezi" zu ersticken und hektisch die letzen hundert Artikel über die Kasse ziehe, damit mir der 17:17 Bus ins ersehnte Wochenende nicht schon wieder vor der Nase abfährt. Heute aber nicht.

"Heute kriegt ihr micht nicht!" In voll ausgekosteter Gemütsruhe ziehe ich Produkt für Produkt über den Laser (wie gewöhnlich zuerst die Eier, die immer! zuvorderst auf dem Laufband landen und die sechs Liter Milch dann noch hinten nach), drehe und wende alles drei mal. ... "Hettet Sie gern na es Säckli für Ihre Salat?"... Bis die Kunden plötzlich wieder gestresster sind als ich. (Normalerweise sind dies die einzigen zehn Minuten des Tages, in denen ich den Stress der Kunden übertrumpfe.) Heute aber geniesse ich jede Sekunde, die unnötig verstreicht und alle die routinierten fünf-vor-fünf-Ladenstürmer straft. Bis ich den Laden verlassen werde, wird mein Wochenendbus schon lange abgefahren sein, aber heute lasse ich mich davon nicht stören, denn ab heute ist alles ganz anders - wir haben nämlich neue Öffnungszeiten!! (Die netten Kunden haben dummerweise das riesige Schild übersehen, das seit einer Woche vor dem Ladeneingang steht.)

17:15 Der nächste übervolle Wagen lenkt gemütlich in meine Richtung, auf dem Gesicht der Kundin lese ich ein selbstzufriedenes Lächeln, einmal nicht zu denen zu gehören, die um fünf vor die Kassiererinnen noch vom ersehnten Feierabend abhalten... (haha!)

"Oh sie armi müend jetzt immer so lang schaffe! (sie seufzt und schüttelt den Kopf) Also ich verstah das gar nöd! Irgendwenn hend mer na e 24-Stunde Gsellschaft da!"
"Ja so isch das halt, aber solang dass d'Lüüt so spat na wend cho poschte, chönd mir leider au nid vill dra ändere."
"Ich känne das au, mir hend au immer länger offe und debii schaff ich nume im Büro! Denn muess ich am Samschtig amigs au schaffe, debii verchaufet mer i dere Ziit amigs gar nüm so vill. Aber es gitt leider immer Lüüt, wo gliich zgfühl hend, sie müend so spat na cho."

(Das ist jetzt kein Witz, das Gespräch hat sich wirklich so abgespielt!) Weil ich nicht mehr wusste, wie ich reagieren sollte, habe ich einkassiert und ihr einen schönen Abend gewünscht.

Die Entrüstung seitens der Kunden über die neuen Öffnungszeiten hat sich dann bis 18 Uhr durchgezogen. Mein Unverständnis über diese Äusserungen der Kunden ist so enorm, dass mir dieser Eintrag gerade recht kam, um meinem Frust Ausdruck zu verleihen und ihn mit euch zu teilen. (Vielleicht gibt es ein paar aufmunternde Kommentare...?)
Und für alle diejenigen von euch, die auch gerne zu unvernünftigen Zeiten einkaufen gehen: Lasst es doch bitte bleiben! Denkt an die netten KassiererInnen. (Wider der allgemeinverbreiteten Meinung haben die Geschäfte nämlich nicht sowieso geöffnet, sondern nur solange die ganze Geschichte auch rentabel ist und jeder vor fünf Uhr gespendete Franken ist ein Schritt in Richtung frühes Wochenende.)

Ach ja und übrigens, die Glocke hat tatsächlich um fünf Uhr schon geläutet, der Herr vom Hause hat vergessen sie umzustellen...

Trotzdem, und das darf ich an dieser Stelle nicht vergessen, war heute ein wirklich befriedigender Arbeitstag. Ich bin voll durchgestartet und von der Nummer 3 auf Kasse 2 aufgestiegen!!
Ich weiss, dies mag jetzt wie ein schlechter Witz klingen, aber wenn ihr Kasse 3 sehen würdet, könntet ihr begreifen, warum mich das tatsächlich freute! (Das einzige Mal als ich Kasse drei verlassen durfte, war, als ich an ihr einen Totalschaden verursacht hatte.)

Wer sich noch mehr für Biep-Geschichten aus dem Leben von uns Kassiererinnen interessiert, für den kann ich nur folgenden Bestseller empfehlen:



Zu finden sind die Geschichten auch auf einem Blog (allerdings auf Französisch):

http://caissierenofutur.over-blog.com

Ich verziehe mich jetzt in mein wohl verdientes Wochenende. Bediener Nr.108 abgemeldet.

3 Kommentare:

  1. Meine liebe Schicksalgenossin!!! Ich kann ganz genau dein Leid nachvollziehen und kann deinen erwähnten Arbeitstag in detaillierter Erzählung mit einem blossen Kopfnicken und Seufzen bestätigen!!! ;-) Tja, c'est la vie!!!
    Da könnte man wirklich ein ganzes Roman verfassen, schon nur an einem einem vergangenen Arbeitstag an einer Kasse sitzend, alles Geschehene und Erlebte zu vermerken und aufzuschreiben. Andererseits ist das auch eine lohnenswerte Herausforderung, weil man da auch andere Leute und deren Lebensgeschichten kennt und als mögliche Inspirationsquelle gebrauchen kann. Hiermit wünsche ich dir noch einen erholsamen Sonntagabend und viel Geduld und Kraft für deine folgenden Tagen!!! Schliesslich: 'The show must go on', oder?

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  2. Redaktion:
    1.) Verklingen der Glocke --> eher Erklingen?
    2.) Der Nächste übervolle Wagen --> nächste
    3.) der Herr vom Hause --> haben Sie diese Formulierung bewusst gewählt?
    4.) wirklich guter Arbeitstag --> gut durch besseres Adjektiv ersetzen
    5.) etwas viele …, gezielter einsetzen
    6.) Keine Emoticons ( :-) )
    7.) Zahlen entweder ausschreiben oder nicht (zwei, 3).

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  3. Ich verstehe Ihren Ärger vollauf - immer längere Öffnungszeiten sind ein massiver Einschnitt in die Lebensqualität der Menschen, die ohnehin am wenigsten von unserer Konsumwelt haben, sondern sie eigentlich nur ermöglichen.
    Und doch nervt mich als Kunde das schlechte Gewissen, dass mir in einem Geschäft eine Viertelstunde vor Ladenschluss vermittelt wird: Ich störe einen Aufräum-, Verräum-, Abrechnungsprozess, der ohne mich viel speditiver vonstatten gehen könnte. Und doch komme ich doch vor Ladenschluss und möchte einfach was kaufen. Und wenn ich dann noch einen mitfühlenden Kommentar mache, verdreht die Kassierin erst recht die Augen…

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